Interview zur Finanzpolitik mit Frau Lisa Paus – Bündnis90/Die Grünen
Mit der Veröffentlichung der Panama Papers wurde der Gesellschaft wieder einmal vor Augen geführt, wie Konzerne und Millionäre durch Tricksereien Steuerzahlungen umgehen. Wie reagiert die deutsche Politik? Lisa Paus, die für Bündnis90/Die Grünen schon seit 2009 Mitglied des deutschen Bundestages ist, hat uns Rede und Antwort gestanden.

Unser Interviewpartner:
Lisa Paus: „Es ist im Interesse einer guten Wirtschaftsentwicklung für alle, dass Steuerumgehung ausgehebelt wird“
Position:
Lisa Paus war in der zurückliegenden Legislaturperiode steuerpolitische Sprecherin der Grünen. Sie vertrat ihre Fraktion weiterführend im Finanzausschuss und auch stellvertretend im Haushalts-, Bau- und Umweltausschuss. Seit 2009 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages und wurde auch 2017 wieder im Amt bestätigt.
Qualifikation:
Diplom in Volkswirtschaft mit Schwerpunkt EU-Agrarpolitik und GATT. Von 1999 bis 2009 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhaus: dort zuständig für die Berliner Wirtschaft, für die Universitäten, die Charité und die Europapolitik der Stadt Berlin. 2004 lehrt sie als Dozentin für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Wirtschaft (heute Hochschule für Wirtschaft und Recht).
BankenOnline.org: Sehr geehrte Frau Paus, Sie sind nicht nur MdB im Deutschen Bundestag, sondern auch bei Attac und dem Forum Ökologische-Soziale Marktwirtschaft aktiv. War die Veröffentlichung der Paradise Papers eine Genugtuung für Sie?
Lisa Paus: Genugtuung ist das falsche Wort. Die Probleme waren ja auch vorher schon bekannt. Es freut mich, dass dieses internationale Journalistenkollektiv zum wiederholten Mal die Aufmerksamkeit auf das Thema Steuerumgehung lenkt – und welcher Schaden dadurch für das Gemeinwohl entsteht. Briefkastenfirmen sind offenbar zu einer Selbstverständlichkeit bei großen Konzernen und den Reichsten der Gesellschaften geworden. Das kann niemand ernsthaft befürworten. Wenn die Paradise Papers dazu beitragen, mehr Transparenz zu schaffen, dann halte ich das für sehr wertvoll.
BankenOnline.org: Ähnlich wie bei den Panama Papers hörte man schon wenige Tage nach dem Skandal kaum noch etwas in den Medien davon.
Lisa Paus: Es gibt wohl in vielen Bereichen der Öffentlichkeit da eine resignierte Grundhaltung. Nach dem Motto „Alle beklagen sich darüber, aber ändern tun sie es doch nicht“. Das kann ich teilweise verstehen. Die Vielzahl an Steuerskandalen, allein in der jüngeren Vergangenheit, sprechen nicht gerade für eine erfolgreiche Politik gegen Steuerumgehung. Die Bilanz von Schäuble ist, schaut man auf die Ergebnisse, mager. Es wird noch immer zu wenig Druck auf Staaten ausgeübt, die Steuerdumping betreiben, und es herrscht noch immer zu wenig Transparenz. Deutschland könnte hier national und auf europäischer Ebene noch deutlich mehr tun. Die EU sollte zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum werden, in dem Unternehmen mit besten Produkten und Ideen konkurrieren und nicht mit der Fähigkeit, sich ihren Steuerzahlungen zu entziehen. Das verzerrt im übrigen auch den Wettbewerb. Viele kleine und mittlere Unternehmen produzieren oder handeln beispielsweise nur national oder verfügen nicht über die Mittel, um teure Beratungsgesellschaften in Anspruch nehmen zu können.
BankenOnline.org: Was kann ein Staat überhaupt tun, damit Steuerumgehung eingedämmt wird?
Lisa Paus: Der Staat ist sehr wohl in der Lage zu handeln – national wie international. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, für mehr Transparenz zu sorgen. Zu nennen wäre zum Beispiel ein wirklich öffentliches Transparenzregister für Unternehmen. Auch eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen kann mehr Licht ins Dunkle bringen. Mehr Transparenz kann außerdem ein Whistleblower-Schutzgesetz schaffen. Ohne mutige Informanten gäbe es keine Paradise Papers. Das wären erste Schritte, die sowohl in internationaler Abstimmung, aber auch national umgesetzt werden könnten. Die Steuer-Leaks der Vergangenheit haben zudem unredliches Verhalten der Banken zutage gefördert, so dass man teilweise leider von einem Geschäftsmodell ausgehen musste. Auch hier hat verantwortliche Politik selbstverständlich anzusetzen. Ich habe auch von etlichen Bankvertretern gehört, dass Banken daran ein Interesse haben. Denn solche schwarzen Schafe schaden der ganzen Branche.
BankenOnline.org: Sie sind eine Befürworterin der Vermögensteuer, die es ja bereits gab, bis das Bundesverfassungsgericht diese 1995 für verfassungswidrig erklärt hat. Können Sie die damalige Argumentation des Gerichts nachvollziehen?
Lisa Paus: Natürlich. Das Bundesverfassungsgericht hat 1995 die damalige Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt, weil z.B. Geldvermögen sehr hoch, Grundbesitz aber sehr gering besteuert wurde. Das hing mit der Bewertung von Grundbesitz zusammen. Dieses Problem ist aber mittlerweile gelöst – es gibt ein gut erprobtes System zur Bewertung von Immobilien. Wenn die Vermögensarten im Grundsatz gleichbehandelt werden, ist eine Vermögensteuer auch verfassungsgemäß. Sie steht ja schließlich auch explizit im Grundgesetz.
BankenOnline.org: Angenommen eine Vermögensteuer würde wiedereingeführt werden – besteht dann nicht die Gefahr, dass Unternehmen und Konzerne ihre Niederlassungen ins Ausland verlegen?
Lisa Paus: Die Steuerlast insgesamt ist natürlich ein Faktor bei Standortentscheidungen von Unternehmen, aber einer von sehr vielen. Es käme sicherlich auch auf die Ausgestaltung an. Aber vor allem: der Absatzmarkt und die Infrastruktur Deutschlands, die gut ausgebildeten Fachkräfte, sie blieben auch mit einer Vermögensteuer sehr attraktiv. Ein Exit stellt zudem ein betriebswirtschaftliches Risiko dar. Für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer fehlen derzeit klar die politischen Mehrheiten. Umso wichtiger ist es, dass wir bei den Themen Steuerbetrug, Steuervermeidung und Geldwäsche wirksame Maßnahmen ergreifen.
BankenOnline.org: Sie gelten in Ihrer Partei als Expertin für Divestment, also den Rückzug aus Kapitalanlagen mit ethisch fragwürdigem Background. Wie offen sind Unternehmen und Teilhaber für dieses Modell?
Lisa Paus: Im Pariser Klimaabkommen haben sich die Vertragsstaaten darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C zu begrenzen. Dieses Ziel kann nur eingehalten werden, wenn etwa 80 Prozent der bekannten fossilen Brennstoffe im Boden bleiben. Trotzdem fließen weiterhin Milliardenbeträge in den fossilen Sektor. Ein Platzen der Kohlenstoffblase ist deswegen eigentlich unvermeidlich. Die Allianz Gruppe – immerhin der größte Investor in Europa – hat schon vor zwei Jahren bekannt gegeben, dass sie aus Kohleinvestitionen aussteigen möchten. Ein Problem ist sicherlich, dass es bisher nicht genug nachhaltige Anlagemöglichkeiten gibt. Dieser Markt muss in Zukunft größer werden. Aber das ist ja gerade, was wir mit der Divestment-Bewegung bezwecken wollen. Wenn beispielsweise Rentenfonds die Auflage haben, einen gewissen Teil in nachhaltige Projekte zu investieren, dann erhöht das den Anreiz für Investoren, solche Projekte auf die Beine zu stellen.
BankenOnline.org: Die Gentrifizierung der Städte schreitet voran, Wohnraum wird immer teurer und die Anzahl an Sozialwohnungen knapper. Was kann die Politik tun, um diesem Problem auch kurzfristig zu begegnen?
Lisa Paus: Da muss man an mehreren Stellen gleichzeitig ansetzen. Eine wirklich funktionierende Mietpreisbremse wäre ein ganz wichtiger und wirksamer Baustein. Damit können Preisspiralen bei bestehenden, ja bereits finanzierten Wohnungen gestoppt und Mietniveaus stabilisiert werden. Dazu müssten die unnötigen Ausnahmen abgeschafft werden und der Vermieter sollte automatisch Auskunft über die Vormiete geben müssen. Man kann auch die Spekulation mit Immobilien unattraktiver machen. Ein wichtiger Hebel wäre, die Share-Deals-Regelung zu ändern, so dass sich Immobilienkonzerne nicht mehr um die Grunderwerbssteuer drücken können – dadurch würde das schnelle Kaufen und Verkaufen von Immobilien deutlich weniger lukrativ. Und beim Neubau sollte der Bau von günstigen Wohnungen Vorrang haben. Da ist günstiger Baugrund in den Ballungsräumen ein ganz wichtiger Punkt. Der Bund sollte seine Liegenschaftspolitik ändern und Baugrund zu günstigen Konditionen an die Kommunen geben, wenn diese sie für sozialen Wohnungsbau brauchen.
BankenOnline.org: Muss man den Wohnungsbau nicht auch steuerlich fördern?
Lisa Paus: Das wichtigste Instrument für bezahlbaren Wohnraum wäre für uns Grüne die Einführung der Wohnungsgemeinnützigkeit: Mit einem solchen Steuergesetz wollen wir durch Investitionszulagen und Steuererleichterungen auch private Vermieter und Bauherrn fördern, wenn sie dauerhaft gemeinnützig gebundene Wohnungen zur Verfügung zu stellen. So würden viele neue Bauträger für den sozial gebundenen Wohnungsbau aktiviert – sozial engagierte Privatpersonen, Vereine oder Stiftungen. Vor allem würden durch die Wohnungsgemeinnützigkeit aber Wohnungen geschaffen, die dauerhaft preisgünstig sind – und die nicht wie im sozialen Wohnungsbau nach ca. 15 Jahren aus der sozialen Mietpreisbindung fallen. Deshalb wäre eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit das wichtigste Instrument gegen die Gentrifizierung.
BankenOnline.org: Der renommierte Soziologe Hartmut Rosa kritisiert, dass das „Steigerungsimperativ“ aus der Finanzwelt zunehmend Einzug in unsere Gesellschaften hält. Wer sich nicht kontinuierlich steigere, werde abgehängt. Ist dieser Kulturpessimismus begründet? Müssten nicht auch in der Finanzwirtschaft andere, nachhaltigere Erfolgsindikatoren als eine steigende Rendite her?
Lisa Paus: Ich stimme Herrn Rosa zu. Unsere Moderne ist – auch aufgrund der vielen technischen Neuerungen – von vielen Beschleunigungsprozessen gekennzeichnet. Wir kommunizieren schneller, reisen mühelos schneller um die halbe Welt, produzieren immer mehr Güter immer schneller und effizienter. Gleichzeitig fühlen sich viele Menschen gehetzt, können nicht mehr abschalten, bei einigen kommt es gar zum Burn-Out oder ähnlichen Erschöpfungskrankheiten. Aber dieses Leben auf der Überholspur geht nicht nur zu Lasten der Lebensqualität Einzelner. Auch die Umweltkosten unserer Produktions- und Lebensweise sind immens. Der Finanzmarkt könnte hier eine ganz wichtige Rolle bei der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit spielen. Genau deswegen setzen wir uns Grünen ja auch für Divestment ein. Berlin ist da mit gutem Beispiel vorangegangen. Das Land hat einen an Nachhaltigkeitskriterien orientierten Aktienindex für Geldanlagen entwickelt, in den es künftig sein Geld anlegen möchte.
BankenOnline.org: Welche Rückmeldung zu finanzpolitischen Themen erhalten Sie von Ihren Wählern?
Lisa Paus: Dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, empfinden sehr viele als falsch. Und das Thema Steuerumgehung von internationalen Konzernen bringt die Menschen natürlich auf. Es freut mich, dass viele gerade uns Grüne als nicht-korrumpierbare Kämpfer gegen Steuerumgehung in der EU wahrnehmen. Viele wünschen sich auch mutigere Schritte zur Einführung einer CO2-Steuer.
BankenOnline.org: Angenommen Bündnis90/Die Grünen werden (trotz der gescheiterten Jamaika-Sondierungen) in den nächsten Wochen ihren Weg in die Regierung finden – was wären die für Sie wichtigsten Reformen im Bereich der Finanzpolitik?
Lisa Paus: Der glaubwürdige Kampf gegen Steuerumgehung und Steuerbetrug wäre mir sehr wichtig. Ein finanziell und personell gut ausgestattete Steuereinheit auf Bundesebene, die speziell für Einkommensmillionäre und Konzerne zuständig ist, wäre sehr wichtig für die Steuergerechtigkeit. Und es wäre ein wichtiger Schritt gegen die immer weiter wachsende Vermögensungleichheit in Deutschland. Eine Vermögensungleichheit, die übrigens auch die OECD mittlerweile als Problem für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands sieht – denn die Wohlhabenden investieren zu wenig. Das heißt: Es ist im Interesse einer guten Wirtschaftsentwicklung für alle, dass Steuerumgehung ausgehebelt wird.
BankenOnline.org: Sehr geehrte Frau Paus, wir danken Ihnen für dieses Interview.