Interview zur Finanzpolitik mit Frau Susanna Karawanskij (DIE LINKE)

Anhaltende Niedrigzinspolitik, neue EU-Richtlinien, das Jedermann-Konto. In der finanzpolitischen Landschaft sorgten zuletzt diese Themen für Gesprächsstoff. Unsere Redaktion hat daher Führungspersonal aus Politik und Gesellschaftsvertretungen mit aktuellen Fragen konfrontiert und spannende Antworten erhalten. Heute äußert sich Susanna Karawanskij, parlamentarische Geschäftsführerin bei der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

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Unser Interviewpartner:
Susanna Karawanskij

Position:
Mitglied im Finanzausschuss, Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Ostbeauftragte der Linksfraktion. Seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages.

Qualifikation:
Studium der Politikwissenschaft und Kulturwissenschaften, Vorstand des Deutschen Kinderhilfswerkes

Die Linke

BankenOnline.org: Sehr geehrte Frau Karawanskij, Sie sind nicht nur MdB im Deutschen Bundestag, sondern auch Mitglied im Finanzausschuss. Die Europäische Zentralbank wird ihre Niedrigzinspolitik wohl weiter fortsetzen. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage des Bankensystems in Europa?

Susanna Karawanskij: Auf europäischer Ebene gab es seit der Finanzkrise einige Regulierungsmaßnahmen, die auch in Deutschland gesetzlich umgesetzt wurden. Doch Quantität macht noch keine Qualität. Wir haben immer noch kein funktionierendes Trennbankensystem. Die Zockerbuden, d.h. das Investmentbanking, müssen vom kundenorientierten Einlagengeschäft strikt abgetrennt werden. Zugleich stockt es bei den Eigenkapitalhinterlegungen der Banken. Hier muss man darüber nachdenken, ob man mittels höherer Eigenkapitalanforderungen nachsteuert, um das Bankensystem wetterfester zu machen. Es gibt trotz aller Bemühungen immer noch keine Finanztransaktionsteuer, um der kurzfristigen Jagd nach Höchstrenditen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. DIE LINKE will Banken auf das Gemeinwohl verpflichten und an der Förderung sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit ausrichten. Die Probleme eines too big to fail und too interconnected to fail sind auf europäischer Ebene immer noch nicht ausreichend gelöst. Private Großbanken dienen immer noch zu selten der Gesellschaft und meistens nur sich selbst. Stattdessen treiben nach wie vor Schattenbanken, Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften ihr Unwesen. Hochriskante, transparente Finanzprodukte und auch Massen an komplexen Zertifikaten strömen täglich auf die Finanzmärkte und sorgen nicht nur teils für volkswirtschaftlichen, sondern gleichsam für immensen Verbraucherschaden. Daher fordern wir zum Anlegerschutz die Einführung eines europaweiten Finanz-TÜV, durch den jedes Finanzinstrument und jeder Finanzakteur obligatorisch von einer europäischen Behörde zugelassen werden muss. Die Emittenten haben dabei die volkswirtschaftliche und verbraucherschutzpolitische Unbedenklichkeit ihrer Produkte selbst zu beweisen. Das ist dann noch kein Freifahrtschein dafür, dass alle zugelassenen Produkte sicher und renditebringend sind. Es würde aber die Komplexität der Finanzmärkte reduzieren und für mehr Transparenz sorgen, indem die unseriösen und hochriskanten Produkte im Vorfeld herausgefiltert und höchstens an professionelle Anleger vertrieben werden dürfen, aber eben nicht mehr an Oma Erna. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin befindet sich zum Glück ja auch schon ein wenig auf diesem Weg, was man am geplanten Verbot von Bonitätsanleihen sieht. Die Niedrigzinspolitik ist also nicht das Hauptproblem des Bankensystems in Europa, sondern das Fehlen einer stärkeren, konsequenten, qualitativen Regulierung. Stattdessen wird teilweise schon von „Überregulierung“ und „Regulierungswahn“ gesprochen. Das zeigt nur, wie wenig diese Menschen aus der Finanzkrise gelernt haben bzw. lernen wollten. Eines ist klar: Ein einfaches Weiter-so oder gar Deregulierung wären töricht und wirtschaftliches Harakiri. Denn die Ursachen der Finanz- und Weltwirtschaftskrise sind bei weitem noch nicht überwunden.

BankenOnline.org: Welche Auswirkungen hat die anhaltende Niedrigzinspolitik aus Ihrer Sicht auf deutsche Verbraucher?

Susanna Karawanskij: Auf den ersten Blick mögen VerbraucherInnen geschockt sein, wenn sie sehen, wie wenig Zinsen es auf ihrem Tages- oder Festgeldkonto gibt oder wenn sie mitbekommen, dass der von Versicherungsunternehmen versprochene Garantiezins immer weiter gesenkt wird. Inzwischen liegt oft der Zinssatz auf Sparguthaben unter der Inflationsrate. Im Ergebnis sinkt dann der reale Wert der Sparguthaben. Gerade Vermögende profitieren überproportional von der Niedrigzinspolitik, da Börsenkurse, Immobilien- und Mietpreise künstlich in die Höhe getrieben werden. In der aktuellen deflationären Phase, also einer Phase, in der zu wenig Nachfrage von Seiten der Konsumenten herrscht, die ihre Konsumausgaben weiter nach hinten schieben, z.B. in der Hoffnung auf weiter fallende Preise, und einer Phase, in der zugleich die Unternehmen immer weniger investieren und Kosten senken wollen, müssen Massenkaufkraft und gesamtgesellschaftliche Nachfrage zunehmen. Da helfen nur drei Dinge: Mehr Investitionen, höhere Löhne und höhere Renten! Wir brauchen eine gezielte Investitionsoffensive gerade in strukturschwachen Regionen. Durch eine rege Investitionstätigkeit würden wir auch renditesuchendes Kapital von den Finanzmärkten abziehen und einer Blasenbildung vorbeugen. Für deutsche VerbraucherInnen können niedrige Zinsen aber auch Vorteile haben, beispielweise wird dadurch eine günstige Baufinanzierung möglich. Entscheidend wird gleichsam sein, wie Banken und Unternehmen für eine Zinswende, einen Zinsanstieg gewappnet sind. Denn dann ist das Geld nicht mehr so „billig“, es drohen Rückschläge bei Aktien und Immobilien. Aber das ist kein Grund, in Panik zu verfallen. Die anhaltende verbraucherunfreundliche Politik der Bundesregierung hat mehr negative Auswirkungen auf deutsche VerbraucherInnen als die Niedrigzinspolitik.

BankenOnline.org: Wozu raten Sie Verbrauchern, wenn Geld- und Sparanlagen – verkürzt gesagt – entwertet werden, weil dafür keine Zinsen mehr gezahlt werden? Kommt der Sparstrumpf unter dem Kopfkissen wieder zum Einsatz?

Susanna Karawanskij: Der Sparstrumpf ist ganz sicher keine Lösung. Denn Strümpfe zahlen keine Zinsen, nicht mal geringe. Auf dem Tagesgeld gibt es in der Tat kaum noch Zinsen. Aber wir reden hier ja auch von langfristiger Geldanlage, von Altersvorsorge. Und da heißt es immer noch: gut streuen, nicht alle Eier in einen Korb legen. Es sind nach wie vor Renditen über der Inflationsrate erzielbar. Grundvoraussetzung ist ein diversifiziertes Portfolio mit kostengünstigen Produkten. Dieses kann und sollte von sicheren Festgeldern und Sparbriefen bis hin zu kostengünstigen ETF reichen, die die Weltmärkte für Aktien und Anleihen abdecken können. Die persönliche Risikoneigung ist zu berücksichtigen, aber auch die voraussichtliche Anlagedauer. VerbraucherInnen könnte die Angst vor einer ‚Entwertung‘ ihres Geldes genommen werden, wenn sie seriös beraten werden würden, indem man ihnen gemäß ihrer Risikoneigung und des Anlagehorizonts transparente und kostengünstige Geldanlagen vorschlägt. Dafür wäre eine unabhängige, verbrauchergerechte Finanzberatung geeignet, die ebenso wie die Honorarberatung, die wir fördern wollen, eben nicht auf Provisionen basiert. DIE LINKE will die provisionsgestützte Beratung, besser den Verkauf, überwinden. Beratung muss unabhängig von Verkaufsinteressen sein, und sie darf generell nicht nur das Ziel haben, überhaupt Produkte zu verkaufen. Solange es Provisionen gibt, herrscht immer die Gefahr, dass die Produkte empfohlen werden, die die höchste Provision oder Marge abwerfen. Solange es Vertriebsanreize gibt, wird der Verkauf an sich über der kundenorientierten Beratung stehen. Nicht auf den Leim gehen sollte man auch manchem Versicherungsvermittler, der einem noch schnell eine Kapitallebensversicherung zum Jahresende andrehen will. Abgesehen davon, dass solche Produkte enorm teuer und insbesondere heutzutage eher ein Verlustgeschäft als renditeversprechend sind, sollte man Versicherung und Geldanlage bzw. Altersvorsorge trennen. Sinnvoll wäre es, sich vorab bei einer Verbraucherzentrale beraten zu lassen. Information geht immer vor blinder Investition. Den Sparstrumpf sollte man sich also besser anziehen, um sich zu dieser Jahreszeit die Füße zu wärmen, Geld gehört dort nicht hinein.

BankenOnline.org: Die neue EU-Richtlinie zur Vergabe von Immobilienkrediten, die seit März 2016 auch in Deutschland umgesetzt wird, benachteiligt junge Familien und ältere Menschen. Diese Gruppen erhalten immer häufiger eine Ablehnung ihres Baudarlehens und werden damit sozial benachteiligt. Schließen Sie sich der Initiative einiger Landes-Finanzminister zur Entschärfung dieser Regelungen an?

Susanna Karawanskij: Wer eine Familie gründen will oder über 60 ist, hat selten eine Chance auf Kredite. Das liegt daran, dass Deutschland die Richtlinie der EU ziemlich restriktiv umgesetzt hat, so dass Banken wenig Spielraum haben. Ein Dilemma liegt darin begründet, dass es sinnvoll ist, für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe, gerade auch bei Immobilien, zu sorgen. Wir müssen die Menschen vor Überschuldung schützen. Auf der anderen Seite dürfen bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht vorschnell ausgeschlossen werden. Das ist dann sozial ungerecht. Mit der Umsetzung der Richtlinie schoss man wohl etwas über das Ziel hinaus. Es sollte meiner Meinung nach in Deutschland die Öffnungsklausel aus der Richtlinie übernommen werden: Die erlaubt es Banken und Sparkassen, gleichfalls den Wert der Immobilien zu berücksichtigen, solange der Kredit zum Bau oder zur Renovierung eines Hauses, das nicht rein als Geldanlage genutzt werden soll, verwendet wird. Insofern sollte man schon einen genauen Blick darauf werfen, welche Regelungen entschärft werden können. Daneben gibt es aber mehr als genug anderes an der Wohnimmobilienkreditrichtlinie zu kritisieren. Die Vorfälligkeitsgebühren bei Kreditrückzahlungen werden ebensowenig gedeckelt wie die Dispozinsen.

BankenOnline.org: Welche Position nehmen Sie und Ihre Partei zum Thema Bargeld ein?

Susanna Karawanskij: Erstens: Ich unterstütze kein Verbot von Bargeld. Geschäfte des täglichen Bedarfs müssen unberührt bleiben. Grundsätzlich bin ich aber dafür, eine Obergrenze für Bargeld-Zahlungen einzuführen, um unter anderem ein Einfallstor für Geldwäsche, weitere Steuerhinterziehung und Schwarzgeldgeschäfte zu schließen. Diese Straftaten verursachen einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden, den die Allgemeinheit nicht länger mittragen soll. Viele andere Länder deckeln die Bargeldzahlungen bereits. Überlegen Sie doch mal, wann Sie das letzte Mal mit 1000 oder gar 5000 Euro bar gezahlt haben. Da dürften Ihnen nicht so viele Gelegenheiten einfallen. Es geht nicht darum, wie viel Bargeld man besitzen darf, sondern darum, bis zu welcher Grenze man bar bezahlen oder etwa bei der Bank einzahlen darf. Insgesamt muss einem aber klar sein, dass eine Bargeldbegrenzung allein nur ein kleiner Schritt ist, um Geldwäsche und Steuerhinterziehung einen stabilen Riegel vorzuschieben. Wichtig ist mir zudem, dass zum einen die Konten der Menschen geschützt und sicher, z.B. vor Hacker-Angriffen, sind, zum anderen dass der Datenschutz auch bei Bank- und Kreditkarten ernstgenommen wird und Priorität besitzt.

BankenOnline.org: Stichwort: Jedermann-Konten. Zwar kann seit Juni 2016 jeder ein sogenanntes Basiskonto bei Banken eröffnen, doch die Gebühren für derartige Guthabenkonten sind bei vielen Angeboten höher, als bei gewöhnlichen Girokonten. Zahlen damit nicht gerade die Schwächsten der Gesellschaft die höchsten Gebühren?

Susanna Karawanskij: Ja, das tun sie! Und das ist von vielen Banken auch so gewollt, weil diese Menschen nicht die favorisierten Kundengruppen sind. Anstatt ein günstiges Konto für Menschen, die wenig Geld haben, zu schaffen, nehmen manche Banken und Sparkassen vor allem arme KundInnen aus wie eine Weihnachtsgans. Der Gipfel der Ungerechtigkeit ist, dass manche Bankhäuser für Konten, die für Flüchtlinge, Verschuldete und Obdachlose eröffnet werden, höhere Gebühren verlangen als für andere Kontomodelle. Damit wollen sie diese Kundenklientel schlicht und einfach wegekeln. Diese Institute treten das soziale Ansinnen des ,Konto für jedermann‘ mit Füßen und wollen nur zahlungskräftige Kundschaft. Dieser Sonderweg der Banken muss beendet werden. Wir haben bereits im Gesetzgebungsverfahren den schwammigen Begriff der ,angemessenen Kosten‘ scharf kritisiert. Leider wurde nicht nachgegeben; die Folgen erleben wir aktuell. Wir brauchen ein kostenfreies Basiskonto für alle. Das Gesetz ist dringend nachzubessern und sozialer zu machen.

BankenOnline.org: Welche Rückmeldung zu finanzpolitischen Themen erhalten Sie von Ihren Wählern?

Susanna Karawanskij: Was meine Arbeit betrifft, bekomme ich ausgesprochen positives Feedback. Ich versuche auch immer, die teils schwierigen Finanzthemen für die Menschen in meinem Wahlkreis, aber nicht nur für die, verständlich zu machen. Sie müssen erfahren, welche Auswirkungen dieser oder jener Gesetzentwurf konkret auf ihren Geldbeutel hat. Hier bin ich als Abgeordnete oft und gerne die Erklär-Bärin. Gerade dadurch, dass ich scheinbar spröde Finanzthemen mit dem Thema Verbraucherschutz koppele, erhöhen sich Aufmerksamkeit und Interesse. Ganz praktisch zeigt sich, dass das Finanzwesen als solches und die Finanzprodukte verständlicher und weniger komplex werden müssen. Die finanzielle Allgemeinbildung muss gefördert werden und einen höheren Stellenwert bekommen. Nehmen wir den europaweiten Finanz-TÜV, für den ich mich sehr einsetze, als Beispiel: Meine Wählerinnen und Wähler können es gar nicht fassen, dass es so etwas nicht schon längst gibt. Eigentlich sei es doch selbstverständlich, dass Finanzprodukte inhaltlich geprüft werden müssen, ob sie seriös, volkswirtschaftlich unschädlich und transparent sind, bevor sie auf den Markt kommen. Jedes Telefon muss von einer Produktprüfungsorganisation zugelassen werden, warum also nicht Finanzprodukte?

BankenOnline.org: Angenommen DIE LINKE wird 2017 Regierungspartei – was wären die für Sie wichtigsten Reformen im Bereich der Finanzpolitik?

Susanna Karawanskij: Ich würde mich sehr für den bereits erwähnten Finanz-TÜV einsetzen. Da gilt es noch, dicke Bretter zu bohren. Ebenso ist die Finanzberatung verbraucherfreundlich zu gestalten, Beratung und Verkauf müssen getrennt werden und dürfen nicht auf Provisionen basieren. Banken müssten demokratisiert und wieder auf das Gemeinwohl ausgerichtet werden. Hier wäre zuerst ein striktes Trennbankensystem – wie schon vorhin erwähnt – durchzusetzen. Was bisher noch gar nicht zur Sprache kam, ich aber nicht vergessen möchte: Das Versicherungswesen ist kundenfreundlicher zu gestalten, auf der Produkt- wie auf der Schadenregulierungsebene. KundInnen müssen stärker als bisher an den Überschüssen und Gewinnen der Versicherungsunternehmen beteiligt werden. Ach, mir würde da noch so einiges an Reformen einfallen, die man angehen müsste… Daher ist aus Verbraucherperspektive – aber nicht nur deswegen – wichtig, dass DIE LINKE 2017 bei der Bundestagswahl gut abschneidet.

BankenOnline.org: Sehr geehrte Frau Karawanskij, wir danken Ihnen für dieses Interview.