Interview zur Finanzpolitik mit Herrn Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Anhaltende Niedrigzinspolitik, neue EU-Richtlinien, das Jedermann-Konto. In der finanzpolitischen Landschaft sorgten zuletzt diese Themen für Gesprächsstoff. Unsere Redaktion hat daher Führungspersonal aus Politik und Gesellschaftsvertretungen mit aktuellen Fragen konfrontiert und spannende Antworten erhalten. Heute äußert sich Lothar Binding von der SPD-Bundestagsfraktion.

Lothar Binding

Unser Interviewpartner:
Lothar Binding

Position:
Finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags, seit 1998 MdB im Deutschen Bundestag.

Qualifikation:
Ausgebildeter Starkstromelektriker und Diplom-Mathematiker (Uni Heidelberg). Seit 2009 zudem Vorsitzender des Mietervereins Heidelberg.

SPD - Die Grünen

BankenOnline.org: Sehr geehrter Herr Binding, Sie sind nicht nur MdB im Deutschen Bundestag, sondern auch Mitglied im Finanzausschuss und schon seit 2012 finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Die Europäische Zentralbank wird ihre Niedrigzinspolitik wohl weiter fortsetzen. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage des Bankensystems in Europa?

Lothar Binding: Die aktuelle Situation der europäischen Kreditinstitute ist sehr uneinheitlich. So bewertete die Europäische Zentralbank die Ergebnisse des Bankenstresstests im Sommer dieses Jahres durchaus positiv. Sie attestierte eine verbesserte Widerstandsfähigkeit des Bankensystems in der Eurozone. Europaweit am schwächsten schnitt hierbei die drittgrößte italienische Bank Monte dei Paschi ab, deren Eigenkapitalquote sogar in den negativen Bereich rutschte. Von daher ist es nicht überraschend, dass nach dem gescheiterten Verfassungsreferendum in Italien, Rettungspläne für diese Bank ausgearbeitet werden. Aber auch andere italienische Banken, wie die UniCredit, haben mit einer hohen Summe von Problemkrediten zu kämpfen. Auch die Deutsche Bank kämpft nach einer Vielzahl krimineller Machenschaften in den letzten Jahren mit hohen Strafzahlungen. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Deutsche Bank in der Lage ist, sich selbst zu helfen. Insgesamt steht die europäische Bankenlandschaft vor einem schmerzhaften Veränderungsprozess. Nahezu jedes europäische Kreditinstitut wird in den nächsten Jahren Arbeitsplätze abbauen, insgesamt etwa 40.000 Stellen sind betroffen. Wir hören von Planungen bei der Commerzbank von einem Netto-Stellenabbau von mehr 7.000 Arbeitsplätzen bis 2020 . Gründe hierfür sind insbesondere Planungs- und Managementfehler, niedrige Zinsen, stärkere Regulierung und ein starker Wettbewerb. Deshalb stehen wir in den nächsten Jahren vor einem tiefgreifenden Wandel des europäischen Bankensektors.

BankenOnline.org: Welche Auswirkungen hat die anhaltende Niedrigzinspolitik aus Ihrer Sicht auf deutsche Verbraucher?

Lothar Binding: Aus Sicht der Sparerinnen und Sparer ist es auf dem ersten Blick verständlich, dass sie die gegenwärtige EZB-Nullzinspolitik negativ bewerten, weil sie den Nominalzins im Blick haben. Dass Sparbücher, Tagesgeld- und Festgeldkonten kaum noch Rendite bringen, ist ein ernstzunehmender Kollateralschaden der EZB-Politik. Solche Wertverluste hat der Sparer aber nicht nur, wenn der festgesetzte EZB-Leitzins so wie derzeit bei null ist. Dieses Phänomen ist immer dann zu beobachten, wenn die Inflationsrate höher als der nominale Zins ist. Der Realzins wird negativ, und Sparer machen einen Verlust. Dieser Umstand muss ich nicht für gut halten, er ist aber in der deutschen Geschichte keineswegs eine Seltenheit. Seit 1967 machten die Sparer in mehr als der Hälfte aller Jahre Realzins-Verluste. In den 1970er-Jahren etwa haben die hohen Nominalzinsen nicht gereicht, um die noch höhere Teuerung auszugleichen, auch in den späten 1990er-Jahren war es ähnlich. Von daher ist ein negativer Realzinssatz nichts Außergewöhnliches. Auf der anderen Seite gibt es auch gerade für Deutschland offensichtlich positive Effekte der EZB-Niedrigzinspolitik: Viele Bürgerinnen und Bürger haben dadurch Vorteile. Noch nie waren die Kreditzinsen für den Immobilienkauf und für Konsumentendarlehen so niedrig. Unternehmen investieren, und es haben so viele Menschen in Deutschland Arbeit wie nie zuvor. Die bisherige relative Schwäche des Euros gegenüber dem Dollar wirkt auf exportorientierte Unternehmen wie ein zusätzliches Konjunkturprogramm. Sobald das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum robust ist sowie die Inflationsrate in der Eurozone bei 2% liegt, sollte die EZB den Leitzinssatz auch wieder schrittweise deutlich anheben.

BankenOnline.org: Wozu raten Sie Verbrauchern, wenn Geld- und Sparanlagen – verkürzt gesagt – entwertet werden, weil dafür keine Zinsen mehr gezahlt werden? Kommt der Sparstrumpf unter dem Kopfkissen wieder zum Einsatz?

Lothar Binding: Den Sparstrumpf zu Hause kann ich schon aus Sicherheitsgründen nicht empfehlen. Zunächst einmal sollte der Verbraucher mit vorhandenen liquiden Mitteln mögliche noch vorhandene Schulden abbauen. Die weitere Vorgehensweise hängt von der individuellen Lebenssituation und Risikoneigung des jeweiligen Verbrauchers ab. Die selbstgenutzte Wohnimmobilie ist mit Sicherheit ein möglicher wichtiger Baustein privater Altersvorsorge. Aktienanlagen sind eher für risikoorientierte Anleger geeignet. Aus meiner Sicht sollten diese aber auf jeden Fall immer einen langfristigen Horizont haben.

BankenOnline.org: Die neue EU-Richtlinie zur Vergabe von Immobilienkrediten, die seit März 2016 auch in Deutschland umgesetzt wird, benachteiligt junge Familien und ältere Menschen. Diese Gruppen erhalten immer häufiger eine Ablehnung ihres Baudarlehens und werden damit sozial benachteiligt. Schließen Sie sich der Initiative einiger Landes-Finanzminister zur Entschärfung dieser Regelungen an?

Lothar Binding: Ich habe mich bereits vor der Initiative einiger Landes-Finanzminister für eine bürgerfreundliche Umformulierung der Umsetzung der europäischen Wohnimmobilienkreditrichtlinie insbesondere zugunsten junger Familien und älterer Menschen eingesetzt. Die Umsetzung der Richtlinie hat in den vergangenen Monaten teilweise für Verunsicherung bei der Kreditvergabe gesorgt. Vor allem Fragen der Kreditgewährung im Rahmen des altersgerechten Umbaus, von Renovierungen und der künftigen Kreditfähigkeit junger Familien haben in der Praxis zu Umsetzungsschwierigkeiten geführt. Allerdings haben es sich einige Banken bzw. Berater auch recht einfach gemacht und Probleme bei der Kreditvergabe leichtfertig auf „die Politik“, die Gesetzgebung geschoben, auch wenn die Ursachen für die Kreditverweigerung vielleicht beim Kunden oder der Bank selbst lagen. Ich bin zuversichtlich, dass es hier in nächster Zeit zu entsprechenden Veränderungen kommen wird.

BankenOnline.org: Welche Position nehmen Sie und Ihre Partei zum Thema Bargeld ein? Was sind mögliche Szenarien einer Welt ohne Bargeld?

Lothar Binding: Die SPD-Bundestagsfraktion insgesamt und ich, sind für den Erhalt von Bargeld. Es scheint aber Kräfte zu geben, die sich von den Gerüchten über die Abschaffung des Bargeldes Vorteile versprechen – anders ist die Hartnäckigkeit dieser Gerüchte nicht erklären. Allerdings ist es zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unverzichtbar, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die über die Umsetzung der bisherigen europäischen Anti-Geldwäsche-Richtlinien hinausgehen. Ich plädiere deshalb für eine Obergrenze von Bargeldzahlungen von 5.000 Euro. Bargeld ist bei Kriminellen beliebt, weil es keine Spuren hinterlässt. Die Einführung einer Bargeldschwelle ist ein wirksames Mittel zur Eindämmung illegaler Geschäfte. Ich begrüße in diesem Zusammenhang, dass die europäischen Finanzminister die EU-Kommission aufgefordert haben, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zu erarbeiten. Außerdem unterstütze ich ausdrücklich das Vorhaben der Europäischen Zentralbank, die Ausgabe von 500 Euro-Scheinen bis Ende 2018 zu beenden. Im Alltag spielen 500 Euro-Banknoten keine Rolle, sie sind praktisch nur für Kriminelle interessant. Ich gehe davon aus, dass es vor allem durch Innovationen von FinTechs immer mehr Möglichkeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs geben wird. Allerdings sollte auch künftig immer die Möglichkeit bestehen, die alltäglichen Geschäfte mit Bargeld abzuwickeln.

BankenOnline.org: Stichwort: Jedermann-Konten. Zwar kann seit Juni 2016 jeder ein sogenanntes Basiskonto bei Banken eröffnen, doch die Gebühren für derartige Guthabenkonten sind bei vielen Angeboten höher, als bei gewöhnlichen Girokonten. Zahlen damit nicht gerade die Schwächsten der Gesellschaft die höchsten Gebühren?

Lothar Binding: Das Zahlungskontengesetz, in dem das Basiskonto bei Banken verankert ist, schreibt vor, dass die Gebühren angemessen und marktüblich sind. Die Preise schwanken von Bank zu Bank erheblich und liegen derzeit zwischen 0 und 10 Euro pro Monat. Leider sind die Basiskonten bei einigen Instituten in der Tat teurer als bei gewöhnlichen Gehaltskonten. Betroffenen kann ich raten, die Möglichkeit von Vergleichswebseiten zu nutzen, um die günstigeren Konditionen besser auffinden zu können. Das Zahlungskontengesetz sieht ausdrücklich vor, dass Verbraucher die unterschiedlichen Angebote einfach und objektiv vergleichen können. Damit das gewährleistet ist, können sich Vergleichswebseiten durch akkreditierte Bewertungsstellen zertifizieren lassen.

BankenOnline.org: Welche Rückmeldung zu finanzpolitischen Themen erhalten Sie von Ihren Wählern?

Lothar Binding: In meinen Abendveranstaltungen wird das Misstrauen gegenüber „den Banken“ und „den Bankern“ deutlich. Oft werden Geschichten über Beratungen erzählt und verknüpft mit Jahresmeldungen über nachlassende Renditen, die sich mit den Beratungsgesprächen nicht in Übereinstimmung bringen ließen. Ein zweiter regelmäßig vorgetragener Ärger sind die „exorbitanten Gehälter schlechter Manager“. Über die Rolle der Banken, des Finanzmarktes im Allgemeinen und ihre Bedeutung für die Wirtschaft wie für die Endkunden, sind sich allerdings auch die meisten meiner Wählerinnen und Wähler im Klaren. Noch schlechter als Banken schneiden im Bürgervotum die Ratingagenturen ab. Von „der Politik“ werden klare und scharfe Regulierung eingefordert, etwa eine „echte Trennung“ von Spekulation und Realwirtschaft oder eine echte „Beschränkung überhöhter Dispokreditzinsen“, um zwei Beispiele zu nennen.

BankenOnline.org: Angenommen die SPD bleibt auch ab 2017 weiter Regierungspartei – was wären die für Sie wichtigsten Reformen im Bereich der Finanzpolitik?

Lothar Binding: Die Finanzmarktregulierung ist ein laufender Prozess. Es gibt keine Regulierungspause, wie oftmals von Teilen der Kreditwirtschaft und Konservativen gefordert wird. Bestehende Regelwerke müssen hierbei überprüft, verbessert und vor allem weiterentwickelt werden. Die großen Ziele der nächsten Jahre bestehen insbesondere darin, bestehende Regulierungslücken zu schließen (z.B. im Bereich der Schattenbanken), weitere Lösungen für die „too-big-too-fail“-Problematik weltweit vernetzter Kreditinstitute zu finden. Hierzu bedarf es insbesondere einer europäischen Trennbanken-Regulierung, mit einer klaren Trennung von Investment- und Geschäftsbanking. Zudem müssen wir vor dem Hintergrund der anhaltenden Niedrigzinsphase weitere Konzepte im Rahmen der privaten Altersvorsorge als Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung im Generationenvertrag entwickeln, um auch mit diesem Baustein einer drohenden Altersarmut entgegenzutreten.

BankenOnline.org: Sehr geehrter Herr Binding, wir danken Ihnen für dieses Interview.