Interview zur Finanzpolitik mit Herrn Dr. Gerhard Schick von Bündnis 90/Die Grünen

Anhaltende Niedrigzinspolitik, neue EU-Richtlinien, das Jedermann-Konto. In der finanzpolitischen Landschaft sorgten zuletzt diese Themen für Gesprächsstoff. Unsere Redaktion hat daher Führungspersonal aus Politik und Gesellschaftsvertretungen mit aktuellen Fragen konfrontiert und spannende Antworten erhalten. Heute äußert sich Dr. Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick

Unser Interviewpartner:
Dr. Gerhard Schick

Position:
Finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis90/Die Grünen. Stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses und stellvertretendes Mitglied des Haushaltsausschusses im Bundestag. Seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages.

Qualifikation:
Doktor der Wirtschaftswissenschaft, Diplom-Volkswirt, ehemals Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung

Bündnis 90 - Die Grünen

BankenOnline.org: Sehr geehrter Herr Dr. Schick, Bündnis90/Die Grünen wollen „die Finanzmärkte in Europa an die Leine nehmen“. Wie bewerten Sie als finanzpolitischer Sprecher denn die aktuelle Lage des Bankensystems in Europa?

Dr. Schick: Anders als das Bankensystem in den USA, hat das europäische die Krise immer noch nicht überwunden, auch aufgrund politischer Fehler. Die Deutsche Bank und andere Großbanken sind noch immer unterkapitalisiert, die Wirtschaftskrise in Italien lässt dort die Zahl der Problemkredite ansteigen. Alles in allem kein rosige Lage.

BankenOnline.org: Welche Auswirkungen hat die anhaltende Niedrigzinspolitik, die die Zentral-bank ja offenbar fortsetzen wird, aus Ihrer Sicht auf deutsche Verbraucher?

Dr. Schick: Die niedrigen Zinsen sind nicht in erster Linie eine Folge der Geldpolitik. Der Preis für Kapital ist vor allem deshalb so gering, weil zu wenig investiert wird, auch vom Staat, aber gleichzeitig viel Sparkapital vorhanden ist. Deshalb ist es so wichtig, beim Investitionsdefizit anzusetzen, um die Finanzmärkte wieder zu stabilisieren.

BankenOnline.org: Wozu raten Sie Verbrauchern, wenn Geld- und Sparanlagen – verkürzt gesagt – entwertet werden, weil dafür keine Zinsen mehr gezahlt werden? Kommt der Sparstrumpf unter dem Kopfkissen wieder zum Einsatz?

Dr. Schick: Im langfristigen Bereich gibt es weiterhin positive Realrenditen – hiermit ist auch heute noch ein Kapitalaufbau möglich. Die Renditen werden aber durch hohe Kosten und teilweise unpassende Beratung geschmälert. Das ist ein Punkt, an dem wir politisch etwas tun können. Viele Fondsprodukte haben hohe Ausgabeaufschläge von teilweise bis zu 5% und hohe laufende Kosten, die die Renditen der Anleger schmälern (z.B. 5,26% vom Anteilspreis, + laufende Kosten 2015 1,43%, + erfolgsbezogene Vergütung 0,59%). Es gibt natürlich aber auch günstigere Fonds, diese muss der Anleger aber finden und bewerten können. Deshalb setzen wir uns für eine bessere, unabhängige Beratung auf Honorarbasis und Basisprodukte ein.

BankenOnline.org: Die neue EU-Richtlinie zur Vergabe von Immobilienkrediten, die seit März 2016 auch in Deutschland umgesetzt wird, benachteiligt junge Familien und ältere Menschen. Diese Gruppen erhalten immer häufiger eine Ablehnung ihres Baudarlehens und werden damit sozial benachteiligt. Wird sich Ihre Partei der Initiative einiger Landes-Finanzminister zur Entschärfung dieser Regelungen anschließen?

Dr. Schick: Offensichtlich haben die Banken teilweise die Sorge, dass sie nachträglich Prob-leme bekommen, weil die Rechtslage nicht ganz eindeutig ist. Das muss man korrigieren. Insgesamt halte ich die Richtlinie und ihre Umsetzung in Deutsch-land aber für richtig, denn eine unverantwortliche Kreditvergabe wie in den USA, Irland oder Spanien vor der Finanzkrise schadet den Kunden wie den Banken.

BankenOnline.org: Welche Position nehmen Sie und Ihre Partei zum Thema Bargeld ein? Was sind mögliche Szenarien einer Welt ohne Bargeld?

Dr. Schick: Wir sind uns einig, dass es weiterhin Bargeld braucht und geben muss. Es hat viele praktische Vorteile, erleichtert die eigene Kontrolle über Ausgaben und produziert keine gigantischen Datensätze. Kundenprofile, die alles von Brötchenkauf beim Bäcker bis zur Zeitschrift am Kiosk umfassen sind für mich eher ein Albtraum. Das heißt nicht, dass man nichts gegen Organisierte Kriminalität und Geldwäsche tun könnte. Schon heute ist es so, dass man sich bei sehr hohen Bareinzahlungen bei der Bank ausweisen muss, in anderen Bereichen fehlen entsprechende Regeln. Da kann man zum Beispiel ansetzen.

BankenOnline.org: Stichwort: Jedermann-Konten. Zwar kann seit Juni 2016 jeder ein sogenanntes Basiskonto bei Banken eröffnen, doch die Gebühren für derartige Guthabenkonten sind bei vielen Angeboten höher, als bei gewöhnlichen Girokonten. Zahlen damit nicht gerade die Schwächsten der Gesellschaft die höchsten Gebühren?

Dr. Schick: Die Gefahr war schon bei der Gesetzgebung klar erkennbar, doch wir konnten uns mit einer schärferen Regelung nicht durchsetzen. Es besteht kein funktionierender Wettbewerb um nicht erwünschte Kundinnen und Kunden. Es ist daher auch nicht zu erwarten, dass es über den Markt zu Preissetzungen kommt, die für alle Verbraucherinnen und Verbraucher tragbar sind. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Entgelte zur Verhinderung nicht erwünschter Kundenbeziehungen missbraucht werden. Es kann also zu einer Art negativem Wettbewerb kommen, wo durch höchste Preise höchste Abschreckung erreicht werden soll. Dabei ist ein Girokonto eine zentrale Voraussetzung für die Teilhabe am Wirtschaftsleben in Deutschland. Schätzungen zufolge leben circa eine Million Menschen in Deutschland ohne Konto. Ursachen und Folgen von Kontolosigkeit bedingen und verstärken sich häufig gegenseitig. Wohnungslosen fehlt beispielsweise ohne Konto oft die Möglichkeit, einen Mietvertrag abzuschließen, den sie wiederum zur Kontoeröffnung benötigen.

BankenOnline.org: Welche Rückmeldung zu finanzpolitischen Themen erhalten Sie von Ihren Wählern?

Dr. Schick: Im Moment bekomme ich sehr viel positive Rückmeldung auf meine Arbeit zu den Steuertricks der Banken im Untersuchungsausschuss CumEx: Gut, dass Sie da aufklären, schreiben mir Wählerinnen und Wähler. Das motiviert natürlich zusätzlich, wenn wieder viele Akten zu lesen sind.

BankenOnline.org: Angenommen Ihre Partei wird 2017 Regierungspartei, was wären die wichtigsten Reformen im Bereich der Finanzpolitik?

Dr. Schick: Nötig ist eine Finanzwende für eine gerechte, krisenfeste, nachhaltige Finanzwirtschaft, die wieder im Dienst der Gesellschaft steht. Dazu gehört mehr Eigenkapital für Großbanken und weniger Bürokratie für kleine Banken, für die Kunden faire Finanzberatung und transparente Finanzprodukte. Stabilität wird es aber erst dann geben, wenn in Europa wieder mehr investiert wird. Deshalb setzen wir auf einen Green New Deal, um die europäische Wirtschaft aus dem Krisenmodus herauszubekommen, also auf Investitionen in die ökologische und soziale Transformation unserer Wirtschaft.

BankenOnline.org: Sehr geehrter Herr Dr. Schick, wir danken Ihnen für dieses Interview.